Tatstrafrecht statt Gesinnungstrafrecht – Staatsschutzstrafrecht muss rechtsstaatlich sein!

Die ASJ fordert den SPD-Parteivorstand, die SPD-Bundestagsfraktion und den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, auf, dafür Sorge zu tragen, 

1.)dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“ (GVVG-Änderungsgesetz) vom 05.02.2015 nicht verabschiedet wird,

2.)dass eine Kommission, bestehend aus Strafrechtswissenschaftlern und –praktikern und gegebenenfalls weiteren Mitgliedern, mit den Ziel eingerichtet wird, Vorschläge zu erarbeiten, wie Schutz vor terroristischen Anschläge auf eine Weise gesetzlich zu verankert werden kann, dass sie mit dem Grundgesetz und dem strafrechtlichen Schuldprinzip im Einlang steht.

Begründung

A) Vorbemerkung

Unser freiheitlich-demokratischer Staat existiert, um seinen Bürgern ein Leben in Freiheit und Würde zu ermöglichen.
Deshalb maßen wir uns nur in ganz engen Grenzen an, Menschen ihre Freiheit zu nehmen, da wir wissen, dass eine Gefängnisstrafe Existenzen vernichten und Menschen innerlich zerstören kann.
Die Strafrechtslehren, die das Grundgesetz in ihren grundlegenden Bestimmungen dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogen hat, sind historisch geronnene Erfahrungen mit staatlichem Unrecht. Sie sind das Fundament, auf dem unser freiheitlich-demokratischer Staat steht. Mag in anderen Fällen Kompromissfähigkeit und Flexibilität angezeigt sein, um politische Ziele Schritt für Schritt zu erreichen, so ist beim Strafrecht Prinzipienfestigkeit das Gebot der Stunde. Das bedeutet insbesondere, dass wir an einem Tatstrafrecht festhalten und uns der Einführung eines Gesinnungstrafrechts widersetzen.

Das Strafrecht bestraft nicht böse Gedanken, sondern böse Taten. Die Gedanken sind frei – verboten ist nur, die Freiheit und Rechte anderer durch aktives Tun zu verletzen.
Neben dieser grundsätzlicher Erwägung ist das Tatstrafrecht auch ein Schutz vor Richterwillkür. Das Innere eines Menschen ist für andere nicht sichtbar, deshalb kann Anknüpfungspunkt einer Bestrafung immer nur etwas Äußeres sein; eine Tat nämlich, die ihrem sozialen Sinn nach ein Rechtsgut verletzt oder – beim Versuch – das Rechtsgut bereits konkret gefährdet. Nur, wenn etwas Äußeres, Objektives Anknüpfungspunkt von Bestrafung ist, sinkt die Gefahr subjektiv gefärbter, willkürlicher Wertungen bei der Anwendung des Strafrechts.

Gedanken sind nicht nur unsichtbar, sondern auch oft schwankend. Menschen ändern oft einen Entschluss noch in letzter Minute; die Schwelle, einen bösen Gedanken wirklich in die Tat umzusetzen, ist hoch. Das Strafrecht baut ihnen eine goldene Brücke in die Legalität bis ganz kurz vor einer möglichen Vollendung. (vgl. die Regelungen zum Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB).

Das Tatstrafrecht ist Bestandteil des verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzips. Nicht Nützlichkeitserwägungen, sondern nur die persönliche Schuld des Täters eröffnen das Recht des Staates, zu strafen. Der Unterschied zwischen Strafrecht und Polizeirecht darf nicht eingeebnet werden. Ein „Feindstrafrecht“ für Terroristen, in dessen Rahmen rechtsstaatliche Grenzen aufgehoben sind, darf es nicht geben.

Ähnlich grundlegend ist das ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherte Bestimmtheitsgebot. Aus den Tatbeständen im Strafrecht muss sich klar und eindeutig ergeben, welches Verhalten bestraft wird und welches nicht.

B) Folgerung für das zu behandelnde Gesetzgebungsvorhaben

Hieraus folgt für den konkreten Fall im Einzelnen:

I) Schon die aktuell geltende Vorschrift des § 89 a StGB bedeutet eine Abkehr von den oben geschilderten Prinzipien eines liberalen Strafrechts. Ihre Defizite müssen geschildert werden, weil sie auch in § 89 a StGB neue Fassung fortwirken.

1.) Erstmals wurden im Rahmen dieser Vorschrift die Handlungen von Einzeltätern bis weit in das Vorbereitungsstadium hinein unter Strafe gestellt. Vorher wurden Vorbereitungstaten nur bei Gruppentätern bestraft; mit der durchaus schon fragwürdigen Begründung, dass durch die„Gruppendynamik“ eine besondere gegenseitige Bindung entstehe, die deswegen zu einer erleichterten Straftatbegehung führen könne. Hieraus ergebe sich im Unterschied zur Einzeltat die Strafwürdigkeit von Taten etwa der §§ 129 ff StGB oder der allgemeinen Regel des § 30 StGB.

2.) Die Tatbestände sind teilweise grotesk weit.
So wurde § 89 a StGB bei seiner Einführung als „Terror-Camp-Paragraph“ bezeichnet. Von seinem Wortlaut sind aber nicht nur, wie bei der seinerzeitigen US-amerikanischen Parallelvorschrift, paramilitärische Ausbildungscamps erfasst. Vielmehr genügt es, sich von einer Person z.B. im Gebrauch von Schusswaffen oder aber in sonstigen Fertigkeiten unterweisen zu lassen, wenn diese der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Tat dienen. Da der Unterweisende von dem bösen Vorsatz nicht wissen braucht, kann der Besuch einer staatlich zugelassenen Flugschule ausreichen, den Tatbestand zu erfüllen.

3.) Die Beschränkung auf „staatsgefährdende Gewalttaten“ („Staatsschutzklausel“) ist nicht geeignet, der missglückten Norm Konturen zu verleihen. Sie ist ein problematischer Fremdkörper im materiellen Staatsschutzstrafrecht und zudem ein mögliches Einfallstor, eine Vielzahl von Verbrechen nach §§ 211, 212, 239a, 239b mit politisch-extremistischem Hintergrund zu erfassen, die weit über den Falltypus eines Großanschlags hinausgehen. Wohl Ausdruck der Schlampigkeit beim Abfassen der Vorschrift ist die Merkwürdigkeit, dass der Bestand und die Sicherheit (irgendeines, möglicherweise autoritären) Staates oder einer internationalen Organisation stärker geschützt sind als die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland. Erstgenannte sind bereits vor „Beeinträchtigungen“ geschützt, während für letztere die Strafbarkeit erst dann einsetzt, wenn sie „beseitigt, außer Geltung gesetzt oder untergraben“ werden sollen. Dieser Wertungswiderspruch erscheint noch eklatanter, wenn man sich vor Augen führt, dass jeder völkerrechtlich anerkannte Staat unabhängig von seiner rechtstaatlichen Verfasstheit diesen hohen Schutz genießt. Damit wird eine abgemilderte Form des „Hochverrats gegen fremde Staaten“ eingeführt, die man 1953 noch bewusst aus dem Strafgesetzbuch gestrichen hatte.
4.) Der Bundesgerichtshof wähnt die aktuelle Vorschrift an der „Grenze“ der Verfassungswidrigkeit, hat sie aber mit einer „verfassungskonformen Auslegung“ dahingehend gehalten, dass für die schwere staatsgefährdende Straftat dolus directus zu verlangen sei (BGH 3 StR 243/13 – Urteil vom 8. Mai 2014).

Damit sind die schwerwiegenden Bedenken gegen die Vorschrift jedoch keineswegs ausgeräumt:

Zunächst ist das Instrument der „verfassungskonformen Auslegungen“ in elementaren Fragen und jedenfalls im Strafrecht vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebotes generell abzulehnen.
Überdies vermag – wie eingangs erläutert – eine erhöhte Hürde im subjektiven Tatbestand nicht das Fehlen einer objektiven, sich nach außen manifestierenden, objektiv rechtsgutsgefährdenden Tat zu kompensieren.
Ferner muss die Tat nach Auffassung des BGH „nur in Umrissen konkretisiert“ sein, da die Vorschrift de facto leer liefe, verlangte man ähnlich konkrete Vorstellungen wie bei § 30 Abs. 2 oder § 26 Abs. 2 StGB. (Dort wird eine „in ihren Grundzügen und wesentlichen Merkmalen konkretisierte“ Vorstellung von der Tat verlangt). Damit wird deutlich, dass eine Begrenzung der Vorschrift über die subjektive Tatseite leer laufen muss.
Endlich hat der Senat ausdrücklich offen gelassen, ob das Erfordernis des dolus directus auch dann gilt, wenn nicht der Vorbereitungstäter, sondern ein Dritter die staatsgefährdende Tat begehen soll. Im letzteren Fall könnte also ein Eventualvorsatz hinsichtlich der Tatbegehung durch den Dritten ausreichen.
5.) Zu kritisieren ist vor dem Hintergrund des Schuldprinzips der übermäßige Strafrahmen mit einer Höchststrafe von 10 Jahren!

II) Die mit dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung intendierten Änderungen stellen im Vergleich zu den aktuellen Vorschriften einen weiteren Tabubruch dar:

1.) In § 89 a StGB eingefügt werden soll ein neuer Absatz „2a“ mit folgendem Wortlaut:

„Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Handlungen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 erfolgen.“

Hierzu ist folgendes zu bemerken:

a) Der Tatbestand ist ein „echtes Unternehmensdelikt“, d.h., Versuch und Vollendung fallen zusammen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Damit entfällt beim Versuch die fakultative Strafmilderung und jede Rücktrittsmöglichkeit ist versperrt. Auch Absatz 7 führt hinsichtlich der fehlenden Rücktrittsmöglichkeit zu keiner anderen Bewertung, da hier ein Absehen von Strafe lediglich in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Eine Strafbarkeit wegen Vollendung kann also schon ab dem reisefähigen Erscheinen am Flughafen angenommen werden, unabhängig davon, ob es zu dieser Abreise wirklich kommt oder sogar das Flugzeug wirklich abhebt.
b) Die Vorschrift pönalisiert einen Vorbereitungsakt („Ausreise“), der weit im Vorfeld einer weiteren Vorbereitungstat („Unterweisung“) liegt, welche wiederum weit im Vorfeld der Vollendung einer „schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ liegt. Bestraft wird also die Vorbereitung einer Vorbereitung. Damit ist ein neuer Qualitätssprung – allerdings in negativer Hinsicht – vollzogen. Für die aktuell geltende Vorschrift hatte der BGH im o.g. Urteil noch ausgeführt, „dass § 89 a StGB auch Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die von einer Verletzung oder auch nur konkreten Gefährdung der vom Gesetzgeber durch die Norm unter Schutz gestellten Rechtsgüter derart weit entfernt sind, dass ihre Pönalisierung – auch unter Berücksichtigung des Gewichts der Schutzgüter – die Grenze dessen erreicht, was unter verfassungsrechtlichen Aspekten noch als verhältnismäßig anzusehen ist (Rz. 44).

Dennoch kam er im Ergebnis lediglich zu einer verfassungskonformen Auslegung und nicht zur Annahme der Verfassungswidrigkeit. Nimmt der Senat seine Rechtsprechung ernst, dann müsste selbst er nunmehr konstatieren, dass die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten ist.

Einzige „objektive“ Begrenzung der Strafbarkeit für eine möglicherweise blühende Phantasie eines Ausreisewilligen soll das Erfordernis von irgendwelchen tatsächlich erfolgenden Unterweisungen – ohne unmittelbaren Bezug zum „Unternehmenden Ausreisenden“ – im Zielland sein. Wie oben ausgeführt, könnte dies aber auch eine Flugschule mit einem von den Plänen ahnungslosen Fluglehrer sein, sodass diese scheinbare Begrenzung in Wahrheit keine ist.

II) Ebenfalls eingefügt werden soll eine neue Vorschrift zur Strafbarkeit von Terrorismusfinanzierung (§ 89 c StGB), welche § 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB ersetzen soll. Aufgegeben wird die Begrenzung auf die staatsgefährdenden Gewalttaten, ersetzt wird diese durch einen umfangreichen Katalog einer Vielzahl von Straftaten; nunmehr ist auch die mittelbare finanzielle Förderung der Zerstörung eines Polizei-Autos strafbar (Die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gemäß § 305a StGB ist von dem Katalog umfasst). Ebenfalls aufgegeben wird die Erheblichkeitsschwelle, jetzt reichen bereits Kleinstbeträge für eine Strafbarkeit aus. Bei „Geringwertigkeit“ sinkt die Höchststrafe allerdings von 10 auf 5 (!) Jahre (Abs. 5). Positiv zu vermerken ist lediglich, dass nunmehr dolus directus 2. Grades statt dolus eventualis für die geförderte Haupttat verlangt wird.

C ) Alternativen

Selbstverständlich ist eine effektive Gefahrenabwehr gegen terroristische Aktivitäten auch ohne die kritisierten Vorschriften möglich. Ausreisewilligen kann der Pass entzogen werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passinhaber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, §§ 8, 7 Abs. 1 Nr. 1 Passgesetz. Nach den Erfahrungen der deutschen Vergangenheit sollte mit Ausreiseverboten genereller Art allerdings sensibel umgegangen werden. Zu verlangen wäre zumindest, dass mit der geplanten Ausreise eine konkrete Gefahr für schutzwürdige Rechtsgüter entstünde.
§ 24 Passgesetz droht für die Ausreise trotz wirksamen Passentzugs eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr an. Es gibt also bei wirklich feststellbaren konkreten Gefahren ausreichend Handhabe, Gefährdern die Ausreise zu verwehren.

D)Völkerrecht

Als Argument für die Norm werden in der Debatte völkerrechtliche Verpflichtungen angeführt. Tatsächlich sieht die VN-Resolution 2178 (2014) des VN-Sicherheitsrates eine Bestrafung von Ausreisen mit der Absicht, sich terroristisch ausbilden zu lassen, vor. Unabhängig von der Frage, inwiefern der Begriff „Strafrecht“ im Sinne der Resolution überhaupt deckungsgleich mit dem Begriff „Strafrecht“ im innerstaatlichen Recht ist: Jedenfalls obliegt es nach den Grundsätzen des Völkerrechts jedem einzelnen Staat, zu entscheiden, wie er die allgemein gehaltene Vorgabe der UN-Resolution orientiert an den Grundsätzen seiner Rechtsordnung umsetzt. Die UN-Resolution gibt also keinesfalls vor, dass Straftatbestände so extrem ausgeweitet werden müssen, wie im vorliegenden Gesetzentwurf. Ihr kann auch mit einer konsequent rechtsstaatlich ausgerichteten Lösung rechtlich einwandfrei genügt werden.

Selbst wenn man anderer Meinung wäre und eine völkerrechtliche Verpflichtung zum Erlass einer strafrechtlichen Bestimmung in genau der jetzt vorgesehenen Ausgestaltung annähme, folgte daraus immer noch keine Pflicht für den Bundestag zum Erlass der vorliegenden Norm. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beispiel in seiner Entscheidung zum „Europäischen Haftbefehl“ (Urteil vom 18. Juli 2005 – 2 BvR 2236/04) betont, dass völkerrechtliche Verpflichtungen dann nicht in innerstaatliches Recht zu transformieren sind, wenn sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Bundestagsabgeordnete hatten seinerzeit vorgetragen, dass sie davon ausgegangen waren, zur Umsetzung verpflichtet zu sein. Dies war keine Sternstunde des Parlamentarismus und sollte sich nicht wiederholen!
Die vorliegende Norm ist mit der Verfassung nicht vereinbar. Insofern kann auch die VN-Resolution keine Rechtfertigung zur Verabschiedung des Gesetzesentwurfes bilden.

E) Schluss
Wir dürfen drohende Gewalttaten im Ausland nicht um den Preis bekämpfen, unseren Rechtstaat aufzugeben. Die Antwort auf „Terrorismus“ muss sein, sich umso intensiver der eigenen rechtsstaatlichen und demokratischen Tradition zu vergewissern. In dieser Tradition sollte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands stehen. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten trifft vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine besondere Verantwortung, statt einen immer weiter ausufernden Ausbau der Strafgesetze voranzutreiben, Hüterin unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung zu sein.